Atomkraft-Debatte: Facebook´s Limitiertheit

© Gerd Altmann / PIXELIO

In Japan ist durch eines der stärksten Erdbeben der jüngeren Geschichte eine humane Katastrophe ausgebrochen; das Land ist großflächig so zerstört, dass sich eine Versorgung von Hilfsbedürftigen in der ersten Woche tagelang verzögerte. Zudem sind an mehreren Atomreaktoren im Land immense Schäden entstanden, deren langfristige Folgen für die Menschen in ganz Japan und darüber hinaus heute noch nicht absehbar sind.

Diese dramatische Entwicklung berührt auch das deutsche Gemüt – schlagartig und lautstark brandet die Diskussion um den Einsatz von Atomenergie erneut auf – man hört und liest dieser Tage über den Abgesang auf das Atomzeitalter und Deutschland soll europa-/ weltweit einer der geläuterten Vorreiter sein für eine Hinwendung zu regenerativen Energien – sich zu einem Vorbild entwickeln für die Länder, die im Begriff sind, an der atomaren Energie festzuhalten oder sie auszubauen.

Bei Facebook entwickeln sich parallel und exponentiell z.B. solche Anwendungen, die das eigene Profilbild mit der roten Sonne auf gelbem Grund und der Formel: „Atomkraft? Nein danke“ ausstatten. Gruppen schießen wie Pilze aus dem Boden, welche den sofortigen Ausstieg aus den Kernenergie fordern, Demonstrationsankündigungen, Menschenketten, Unterschriften-Aktionen werden bei Facebook organisiert und lokal durchgeführt. Der Volkswillen soll an breiter Front mit breiter Brust ausgedrückt werden.

Die Einfachheit des Dabeiseins durch das Drücken des Gefällt-mir-Buttons, das barrierefreie Miteinander und Mitschwimmen im Strom der postmodernen und social-media-generierten Anti-AKW-Bewegung hat aber einen entscheidenden Nachteil, der die Teilhabe daran fraglich macht:

Die persönliche Einstellung eines jeden wird degradiert in eine Entscheidung pro oder contra, entweder man ist dafür oder dagegen. Genauer gesagt: Man ist dafür oder die eigene Stimme wird überhaupt nicht wahrgenommen. Eine Möglichkeit zu sagen: ich bin zwar für einen Ausstieg, aber unter der Bedingung A und vor dem Hintergrund B besteht nicht. Man klickt „Gefällt mir“ oder eben nicht.

Viele User bei Facebook unterstützen keine Anti-Atom-Kampagne und zwar nicht weil sie nicht gegen die Atomkraft wären, sondern weil sie sich damit als unreflektierte Elemente einer stumpfen Masse definieren würden, denn das Auslösen des Gefällt-mir-Knopfs ist für jeden erlernbar und man macht sich automatisch gemein mit Menschen, die Gefällt-mir aus Reflex, Gewohnheit oder Lust und Laune drücken oder weil es der Partner gemacht hat oder weil es noch nie so einfach war, sich als verantwortungsbewussten oder politischen Zeitgenossen zu inszenieren oder schlichtweg, weil es alle machen – qualitative Reflektiertheit lässt sich damit nicht ausdrücken.

Was Facebook kann sind Stimmungen, Tendenzen und Zahlen: Coca Cola hat 20 Millionen Fans und fast 600 Tausend Facebookler wollten KT zu Guttenberg zurück. Es wird aber nicht gelingen, Facebook als Instrument einzusetzen, das an Regierungen und Unternehmen Forderungen auf mehreren Ebenen stellt, Verhalten überprüfen kann, Menschenrechte vertritt. Die Stärke des Systems ist zugleich seine Schwäche.

Hier lassen sich die Grenzen und gleichzeitig der Wesenszug von Facebook erkennen: Es ist als politisches Ausdrucksmittel und Katalysator demokratischer Willensbildung, wie das gern von den Facebook-Machern dargestellt wird limitiert und allenfalls als weit gediehene, trotzdem oberflächliche Abfrage-Plattform zu gebrauchen: Es ist dazu geeignet, Vorlieben anzuzeigen, Firmen und Produkte zu mögen – daraus strickt sich Facebook im Hintergrund für jeden seiner Hunderte von Millionen Nutzer ein Profil und kann darauf aufbauend mit verblüffender Zielgerichtetheit Werbeanzeigen schalten – ein Mittel zum qualifizierten, gesellschaftlichen Diskurs und nachhaltigem, politischen Agenda Setting, dass „Obrigkeiten“ wie etwa (demokratische) Staaten, Konzerne, gesellschaftliche Gruppen ernst nehmen müssten, ist es nicht.

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